Portrait Matt Groening / Aus dem Archiv: Artikel aus der Ausgabe 25, 2012 des Plautdietsch Frind
Die skurillen Simpsons sind primitive, platte und sonnenblumengelbe Figuren mit Glupschaugen und Übergebiss aus dem Fernsehen. Grundschulkinder würden es besser hinkriegen. Aber die gelben Figuren würden nicht so erfolgreich sein. Die animierten Menschen aus Springfield gehören zur berühmtesten Comic-Serie weltweit. Matt Groening, ihr Schöpfer, hat einen mennonitischen Hintergrund. Sein Urgroßvater war Leitungs-Mitglied der Brüdergemeinde in Hillsboro Kansas.
Die wichtigsten Figuren aus der Simpsons-Serie sind der dreiste Sohn Bart, seine kluge aber oftmals einsame Schwester Lisa, die kleine, schnullernuckelnde Maggie, der infantile, phlegmatische Vater Homer, die gebildete, gute Mutter Marge und sein etwas seniler und stürmische Großvater Abe. Und ob sie es nun glauben oder nicht: Der reale Vater von Matt Groening heißt ebenfalls Homer, seine Mutter Marge, seine Schwestern Lisa und Maggie und sein Opa Abraham. Matt Groenings Familie muss wohl mit Ironie umgehen können.
Serie läuft seit über 30 Jahren
So lange wie die Simpsons, nämlich 34 Jahre, ist bislang noch keine Serie gelaufen. Bis heute gibt es 732 Episoden, einen Kinofilm, Comic-Hefte und Computerspiele. Alle Figuren haben an jeder Hand vier Finger. Die einzige Person mit fünf Fingern ist der liebe Gott, der sich ab und zu mal blicken lässt. Matt Groening ist nicht gerade fromm. Über seine plautdietsche Vorfahren hat er noch nicht viel Worte verloren. Und auch nicht, ob er noch ein paar Worte Plautdietsch beherrscht.
Dem Magazin „Spielfilm.de“ berichtete er: „Mein Name ist deutscher und holländischer Herkunft. Mein Vater und dessen Eltern waren Mennoniten, sehr konservative Christen, die sich in Kansas angesiedelt hatten. Ihr Leben glicht dem im 19. Jahrhundert: Sie reisten ohne Autos, dafür aber mit Pferd und Wagen. Sie sprachen so lange Deutsch, bis mein Vater in die Schule kam. Irgendwann haben meine Großeltern dann die Mennoniten-Gemeinde verlassen, weil sie College-Professoren werden wollten.“ Das ist auch schon alles, was wir von Matt Groening selbst über seine Familiengeschichte wissen. Foto: Gage Skidmore, CC By Sa, Wikipedia.
Wurzeln in der Ukraine
Noch genauer hat sich Dale Sudermann, ein Mennonit, damit beschäftigt. Er veröffentlichte am 16. August 2007 in der Hillsboro Free Press den Artikel „The Groenings, The Simpsons and the Mennonites“. Seine Familienforschung über die Groenings beginnt in den 1870-er Jahren. Abraham Gröning (noch mit „ö“ geschrieben) wanderte aus der Ukraine aus, so wie viele andere Mennoniten auch, und siedelte in der USA in der Nähe von Hillsboro im Marion County, Kansas, an. Er wurde ein wichtiges Mitglied der Brüdergemeinde und der mennonitischen Schule. Seinem 16-jährigen Sohn Abram Abraham Gröning, den jeder bald AA Gröning nannte, stellte er als Lehrer an, um die zwei Dutzend Schüler – die meisten waren AA’s Geschwister – in der Ein-Zimmer-Schule zu unterrichten. 1908 ist AA Gröning einer von 39 Studenten im neuen Tabor College der Brüdergemeinde. Sieben Jahre später, also 1915, machte er seinen Abschluss und wechselte an die Kansas University. Sudermann sagt über ihn: „Er ist das, was man einen gebildeten jungen Kerl nennt.
Erster Weltkrieg: Probleme mit dem Pazifismus
1915 brach der erste Weltkrieg aus und die Groening bekommen Probleme. Sie sprechen Hochdeutsch und Plautdietsch – was in der deutschfeindlichen Atmosphäre der Weltkriegszeit nicht gut ankam. Zudem waren sie Pazifisten, womit die Amerikaner noch weniger klar kamen. Deutsche, die nicht kämpfen wollen, vor allem nicht für Amerika, das sind Verräter. Bürgerwehren wollten den verdächtig friedlichen Germans mal zeigen, wo es lang geht. Sie verabredeten sich zum Überfall auf die Familie von Abraham Gröning. Aber der roch den geheimen Plan und verließ mit seiner Familie rechtzeitig das Haus, um bei seinem Schwager Johannes Siebert Unterschlupf zu finden. Siebert versteckte das Fahrzeug der Groenings in der Scheune und die Groenings selbst auf dem Dachboden. Die Bürgerwehr rückte mit Fackeln und Gewehren an, umrundete das Haus, traute sich jedoch nicht über die Schwelle. Abraham Gröning senior hatte danach die Nase voll von den Amerikanern und von Kansas, er verkaufte seinen Hof und wanderte nach Saskatchewan in Kanada aus, wo viele andere Mennoniten siedelten. Ein Agent vom Bureau of Investigation, Vorgänger vom FBI, kam nach Hillsboro, um die Grönings zu befragen. Aber die waren ja alle weg nach Kanada. Deshalb fragte er Siebert aus, doch der tat so, als ob er des Englischen nicht mächtig war. Immerhin konnte er den Agenten deutlich machen, dass er mit Gröning nie über Religion oder Politik diskutiert habe.
AA Gröning heiratete in Kanada und alsbald wurde dem Ehepaar ein Sohn geboren, dem der Name Homer gegeben wurde. Nach dem Krieg sehnte er sich nach seiner alten Heimat, er wanderte zurück in die USA, studierte an der Universität von Kalifornien und Chicago, machte den Dr. in Naturwisschenschaften und wurde dann 1920 Lehrer am Tabor-College und später sogar Dekan.
Tradition über Bord geschmissen
Homer Gröning, Sohn von AA, heiratete Margaret (!) Wiggam. War AA durch seine akademische Karriere einen weltlicheren Weg gegangen als seine Glaubensgenossen, so vollzog Homer einen noch deutlicheren Schnitt: Er arbeitete in der Werbung, drehte Filme und schrieb Gedichte und Cartoons. Die pazifistisch-mennonitische Tradition warf er komplett über Bord: Er kämpfte sogar im 2. Weltkrieg – als Pilot. 1954 wurde ihnen ein Junge geboren, den sie Matthew Abram Gröning nannten, unseren Matt Groening, den Simpsons-Autor.
Vom Leben in der Hölle zu den Simpsons
Matt trat in die Fußspuren seines Vaters, war aber sehr viel erfolgreicher als sein Erzeuger. Er zeichnete Cartoons mit dem Titel „Life in Hell“, also „Leben in der Hölle“. Dann skizzierte er die Grundgeschichte der Simpsons und schickte sie einem Produzenten. Der Produzent biss an und gab das Manuskript an die Animatoren weiter, die daraus einen Zeichentrickfilm machen sollten. Matt war überrascht, er hatte die Zeichnungen eher hingekritzelt und hatte erwartet, dass die Animatoren die Vorlage ein wenig aufhübschen würden. Aber genau in der primitiven Form wurden die Simpsons zum Erfolg. Groening heimste viele Preise ein – unter anderem einen Emmy.
Erfolg auch mit „Futurama“ und „Disenchantment“
Groening fand noch mit anderen Produkten Anerkennung – zum Beispiel mit „Futurama“, eine lustige Science-Fiction-Zeichentrickserie. Oder mit „Disenchantment“ (Entzauberung): Im mittelalterlichen Königreich Dreamland angesiedelt, handelt die Netflix-Serie von der trinkfesten Prinzessin namens Bean und ihren Freunden.
Doch die Simpsons überstrahlen alles. Sie verhalten sich kindisch, derb und primitiv. Homer ist ein richtiger Asi-Vater: „Mir ist alles egal, Hauptsache im Kühlschrank steht genügend Bier“, ist sein Prinzip. Opa Abe sagt über seinen Sohn: „Homer ist kein Kommunist. Er ist vielleicht ein Lügner, ein Schwein, ein Idiot und ein Kommunist, aber er ist kein Porno-Star.“
Die Homersche Prolo-Haltung
Homer muss ein Formular für das Finanzamt ausfüllen, die Abgabefrist ist so gut wie abgelaufen. Homer: „Okay Marge, keine Panik, wieviel Kinder haben wir?“ Marge: „Aber Homer, du weißt doch, wir haben genau …! Homer: „Marge, wir haben keine Zeit zum Zählen, wir schätzen einfach, sagen wir mal: Neun.“ Diese Prolo-Haltung kommt beim TV-Publikum gut an.
Aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil es zahlreiche Anspielungen auf den amerikanischen oder auch globalen „Way of Life“ gibt – versteckte Hinweise auf Fernseh-Serien, Fastfood, Stars und Sternchen, Politiker, Spießer, Weltgeschichte.
Anspielungen auf Mennoniten selten
Anspielungen auf Mennoniten kommen ebenfalls vor, wenn auch nur selten. In der Kirche stimmt die Gemeinde schon zum Schluss das „Aaa…(men!)“ ein, als Prediger Timothy Lovejoy sich einschaltet und für nächsten Sonntag einen mennonitischen Prediger ankündigt. In einer anderen Episode helfen die Amischen Bart, sein Baumhaus wieder aufzubauen. Marge, seine Mutter, lobt das Engagement: „Oh, diese Amischen sind so arbeitsam und nicht so wie diese hilflosen Mennoniten.“ Nachdem Marge dieses gesagt hat, folgt eine Szene, wo Mennoniten Karten spielen, trinken und rauchen. Die Amischen tauchen in der Serie häufiger auf als die Mennoniten.
Groening ist weder Mennonit noch Christ
Über Religion machen die Simpsons sich häufig lustig, aber zumeist gilt die Ironie den großen Kirchen sowie dem Christentum im Allgemeinen und den anderen Religionen. Die Mennoniten hinterlassen nur wenig Spuren, was seltsam ist, wenn man weiß, dass der Autor mennonitischer Herkunft ist. Matt Groening sieht sich selbst nicht als Christ. Er sagt: „Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt. Aber wenn es einen gibt, dann wird er sich heftig über mich ärgern.“ Mennist essa nich meeha, Plautdietsch kauna uck nich. Waut ess daut fe ne Lusch! Dem Simpson-Fan kümmert nicht die ideologische Haltung des Autors. Er will nur noch mehr Geschichten hören.
Autor: Horst Martens