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Freiherr Hans von Niessen am Schreibtisch. © Archiv NiessenFreiherr Hans von Niessen am Schreibtisch. © Archiv NiessenFreiherr Hans von Niessen am Schreibtisch. © Archiv Niessen

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Foto: Freiherr Hans von Niessen am Schreibtisch. © Archiv Niessen

Freiherr Hans von Niessen ist am 20. Oktober in Neuwied nach kurzem Leiden im Alter von 94 Jahren gestorben. Er hat sich besondere Verdienste bei der Umsiedlerbetreuung mennonitischer Russlanddeutscher erworben und hat dafür den Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz erhalten. Hans von Niessen ist selbst auch Russlanddeutscher. Geboren wurde er 20.12.1928 als Sohn mennonitischer Eltern in einem Dörfchen in der Nähe von Dnepropetrowsk.

Ein ereignisvolles Leben

Sein Leben zeichnet sich durch eine epochale Vielfalt aus: Zeitzeuge des Stalinismus, Weltkriegssoldat als 16-jähriger, Flucht nach Paraguay, Pionierarbeit beim Aufbau der mennonitischen Siedlung Neuland im Chaco Paraguays, Leiter der kirchlichen Gemeinde, Leiter der Zentralschule Neulands, Lehrer, Pastor und Umsiedler-Betreuer in Deutschland – letzteres von 1973 bis 1999.

116.000 Mennoniten integriert

116.000 russlanddeutsche, meist Plautdietsch sprechende Mennoniten hat er nach ihrer Einwanderung in Deutschland betreut und sie beim Aufbau ihrer Existenz unterstützt. Dass ihre Integration überraschend gut gelang, ist auch sein Verdienst. Sein Organisationstalent, seine Gaben als Netzwerker, sein diplomatisches Vorgehen und seine Hartnäckigkeit haben für die Wirksamkeit seines Dienstes gesorgt. Seine Arbeit begann er im Aussiedler-Lager Friedland. Das Vertrauen der Menschen erlangte er auch durch seine Plautdietsch-Kenntnisse, die Sprache dieser Einwanderer aus dem Osten.

Hans von Niessen in der Kommunikation mit Umsiedlern. Foto: Archiv Niessen.

Dramatische Einsätze

Die Wurzeln Hans von Niessens liegen – wie bei vielen plautdietschen Familien, in der Sowjetunion. Früh musste er Verantwortung übernehmen, als sein Vater starb. Als 16-jähriger Hitlerjunge wurde er in die Wehrmacht eingezogen und erlebte dramatische Einsätze, die zu seiner Bekehrung führten. Nach Kriegsende gelangte er nach einem erlebnisreichen Marsch ins Aufnahmelager Gronau, wo er seine spätere Frau Helene (Harms) kennen lernte.

Hans von Niessen (r.) mit Zentralschülern und Lehrern der Kolonie Neuland. Foto: Archiv Niessen.

Führungskraft in Neuland

In Paraguay leistete er Pionierarbeit bei der Ansiedlung der Kolonie Neuland. Weil er in Kiew kurz die Lehrerbildungsanstalt besucht hatte, setzte er seine pädagogische Ausbildung im Lehrerseminar in Filadelfia fort und absolvierte später das Evangelische Pastorenseminar in Brasilien. Seine Führungsqualitäten wurden schnell erkannt. Das Schulkomitee und der Oberschulze beschlossen, dass von Niessen Zentralschullehrer wird. Die Mennonitengemeinde wählte ihn zum Gemeindeleiter, eine Aufgabe, die er zehn Jahre lang wahrnahm. Nach Führungspositionen hat er sich nicht gedrängelt. “Ich wollte das alles nicht. Ich wollte mitmachen, das ja. Aber dann schoben sie mich immer vor”, sagt von Niessen. In seinem Metier als Schulleiter hielt er die Kontakte nach Deutschland aufrecht – häufig auch über die Deutsche Botschaft. Und wo er Beziehungen herstellen konnte, da lotete er auch die Möglichkeiten der Unterstützung für die Chaco-Kolonien aus. So organisierte er eine große Lehrmittelsendung für Neuland und wenig später Entwicklungshilfe für alle Mennonitenkolonien.

Ansiedeln in Gruppen

Hans von Niessen (l.) bei der Versammlung von Gemeindeleitern aus Südamerika in Neuland. Foto: Archiv Niessen.

Als er 1970 aus gesundheitlichen Gründen mit seiner Frau nach Deutschland umsiedelte, übernahm er hier wenig später die Leitung der Gemeinde in Neuwied. Und dann bekam er das Angebot, die Umsiedlerbetreuung zu managen – eine Initiative der IMO, dem Hilfswerk der deutschen und holländischen Mennoniten und des MCC aus Nordamerika (Mennonite Central Committee). Auf die Frage, wie er die Arbeit gestalten sollte, wurde ihm gesagt: “Du bist Prediger und Lehrer. Du musst es selbst ausfinden. Tu für die Menschen, was du kannst.” Bei seinem Vorgehen ging er von einer starken Gruppenzugehörigkeit aus: Er suchte städtische oder dörfliche Bereiche, in denen sich große Gruppen gemeinsam ansiedeln konnten. Niessen: “Wo sind solche Möglichkeiten, das man die ganze Gemeinde da unterbringen kann, habe ich mich immer gefragt. Das ist so: Wir brauchen Wohnungen und ein Gemeindehaus. Das mennonitische Prinzip, das bei den Siedlungen in Russland galt, kam hier zum Zug.” Das Ergebnis waren 175 neue Gemeinden.

Der richtige Mann am richtigen Ort

H.v. Niessen berät das Ehepaar Fast, das aus Russland eingewandert ist. Foto: Archiv Niessen.

1999 übergab Hans von Niessen seine Aufgabe dem Prediger Hermann Heidebrecht (Vorsitzender des Ausländer-Betreuungsdienstes). Über seinen Vorgänger sagt Heidebrecht: “Hans von Niessen war der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort. Es ist so eine gute Fügung gewesen, dass ausgerechnet er die Betreuung eingeleitet hat. Er war dafür prädestiniert als Person, diese Aufgabe wahrzunehmen. Und das hat er in den Folgejahren mit großem menschlichen Erfolg und Gottes Segen ausgeführt.”

Prediger bis zuletzt

Seine Aufgaben und Ämter hatte er zuletzt abgegeben. Aber bis ins hohe Alter stand er noch ab und zu auf der Kanzel und predigte. Nach kurzer, aber schwerer Leidenszeit ist er im Kreise seiner Familie gestorben. Er hinterlässt die Kinder Elfriede, Peter, Marlene und die Pflegetochter Carin sowie 18 Enkelkinder, 28 Urenkel und zwei Ururenkel. Die Trauerfeier ist am Freitag, 28. Oktober, um 10.30 Uhr in der Mennonitengemeinde Neuwied-Irlich.

Siehe aus ausführliches Interview auf Youtube: “Der Umsiedler-Manager: Hans von Niessen”

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